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Was das Reisen einen lehrt

Erstmal vielen Dank für die vielen positiven Rückmeldungen und Gratulationen zu meinem letzten Blogbeitrag. Es freut mich zu wissen, dass unser Blog gelesen wird und ich unsere und meine Erlebnisse sowie Gedanken teilen darf. Das Schreiben hat mir schon immer viel Freude bereitet. Als Teenager hatte ich fast zwanzig Brieffreunde aus der Schweiz, Deutschland und Afrika. Mein Traum war immer Schrifststellerin zu werden, wie meine damaligen Lieblingsautoren: Karl May, Astrid Lindgren und Jack London. Zur Schriftstellerin fehlt mir das Talent, aber immerhin kann ich blogen und auch jobmässig entwickle ich mich immer weiter in diese Richtung.


Nach den erlebnisreichen 55h und 34min auf meinem Rennvelo gönnten wir uns, wie bereits erwähnt, zwei Nächte in einem AirBnB. Ich legte mich sogleich für ein 1.5 stündiges Powernap ins Bett und war sofort weg. Die vielen Emotionen, der Schlafmangel und der Hunger liessen mich dann wieder erwachen. Nach all dem ungesunden Fastfood unterwegs, hatte ich unglaubliche Lust auf eine grosse Schüssel Salat à la Cristina mit Kiwi, Tomaten, Ziegenkässe, Nüssen, Ingwer, meiner eigenen Kernenmischung, Eiern etc. Dazu ein eisgekühltes alkoholfreies Bier. Hier in Portugal gibt es unzählige, sehr leckere, alkoholfreie Biere. Wir entdecken immer wieder neue Sorten. Sogar Roger, welcher noch vor einem halben Jahr ein alkoholfreies Bier nicht einmal angeschaut hätte, ist mittlerweile auf den Geschmack gekommen. 


Nach dem Essen legte ich mich gleich wieder ins Bett. Nicht einmal auf eine Dusche hatte ich Bock. Ok, duschen war für mich immer schon eher ein Müssen als ein Wollen und seit wir dieses einfache Leben als Nomaden leben, ist das Duschen noch in eine viel weitere Ferne gerückt. Zum Waschen reicht ein Bach, ein See oder wenig Wasser aus der Flasche. Schon lange hat mich unser grosser Wasserverbrauch in der westlichen Zivilisation beschäftigt. Wenn man überlegt wie viele Liter reinstes Trinkwasser wir zum Duschen und für die WC-Spülung tagtäglich vergeuden und gleichzeitig auf anderen Teilen der Welt unzählige Menschen kein sauberes Trinkwasser haben und an Durst leiden. Und ja ich weiss, nur weil ich sparsam lebe geht es den Anderen nicht besser. Das ist für mich aber nur eine Ausrede. Wir verschliessen gerne die Augen vor Tatsachen und begnügen uns damit, dass wir sowieso nichts ändern können. 


Je länger ich reise, desto mehr finde ich zu mir und getraue mich, meine Werte nach Aussen zu tragen und mich von den Gesellschaftsnormen zu lösen. Ich mag mich gut an diverse Geschäftsseminare im Tourismusbereich erinnern. Drei Tage in noblen Hotels mit allem drum herum. Ich fühlte mich immer fehl am Platz. Und habe mich gewundert, warum alle Teilnehmer jeden Tag ein komplett neues Tenü anziehen mussten? Ich hatte drei Tage dasselbe an. Beim Rumsitzen, Apéröle und Smalltalk schwitzt man doch nicht? Zum Glück war mein Chef easy drauf, als ich ihn mal gefragt hatte was er für diesen Anlass anziehen werde meinte er nur: "Cristina du bist eh underdressed. Bleib aber so wie du bist". Am Anfang meinte ich auch, ich müsse mich jetzt anders anziehen, nur weil es die Gesellschaft so "vorschreibt". Doch zum Glück passe ich seit Kindesalter nicht ins Schema, wurde dewegen auch zu genüge gehänselt, und habe mir deshalb einen starken Charakter aufgebaut. An einen Anlass erinnere ich mich speziell. Irgend ein Event über Digitalisierung im Tourismus auf dem Harder. Ich dachte mir, das nutze ich doch gleich als Training. Ich lief also zu Fuss auf den Harder, zog mir oben auf der Toilette kurz etwas Frisches an und wusch mein Gesicht im Lavabo. Als ich dann mit meinen Jeans, Trailrunningschuhen und Sweatshirt in den bereits ziemlich gefüllten Seminarraum eintrat, waren sofort alle Augen der Anzugträger und schicken Damen auf mich gerichtet. Was mich aber nicht weiter beunruhigte. Beim abschliessenden Apéro auf der Terrasse war die Sonne bereits untergegangen, und es herrschte eine kühle Herbsttemperatur. Das Networking klappte einwandfrei, als ich nämlich noch meine orange Daunenjacke anzog, kamen einige dieser "wichtigen" Anzugträger auf mich zu und meinten ich sei wohl am besten ausgerüstet und sie würden mich um meine warme Jacke beneiden. Ich konnte wertvolle Kontakte für meine Arbeit bei der Niesenbahn schliessen und total mich selber bleiben. Müsste ich mich nämlich verkleiden, würde ich mich nicht wohl fühlen, dies nach Aussen tragen, unsicher wirken und so auch keine Kontakte knüpfen. Der Spruch "Kleider machen Leute" stimmt für mich nur, wenn der Träger oder die Trägerin die Kleider aus intrinsischen Gründen trägt und nicht weil er oder sie muss. Ganz ehrlich, ich finde Männer in Anzügen schrecklich. Eine Kravatte eignet sich höchstens für Fesselspiele und ein weisses Hemd wird nur viel zu schnell schmutzig. Einem Banker in Jeans und Holzfällerhemd würde ich tausendmal eher mein Geld anvertrauen als einem Anzugträger mit Gelfrisur und Parfümfahne.


Aber auch hier gibt es sicher Menschen, die sich darin wohlfühlen. Es soll Jeder das tragen was er will. Wir müssen einfach wegkommen von dem Gedanken jeden Tag frische Kleider anzuziehen und dass man sich nur mit duschen frisch halten kann. Seit ich meine Haare nämlich nur noch selten mit Shampoo wasche, bleiben diese viel länger luftig und geschmeidig. Und das Fett welches sich nach einigen Tagen bildet, ist nur ein Schutz und sehen wir als eklig an, weil es uns so gelehrt wird. Seit Anfang unserer Reise benutze ich keine Bodylotion oder Gesichtscrème mehr, meine Haut ist überhaupt nicht trocken, im Gegenteil, fühlt sich geschmeidig und lebendig an. Wir sparen ohne den ganzen Krimskrams nicht nur sehr viel Geld, auch verschwenden wir viel weniger Abfall und es geht weniger Mikroplastik den Abfluss runter. Ich musste schmunzeln, als mir vor ein paar Wochen dieser treffende Artikel, über unsere von der Gesellschaft übertragenen kranken Hygieneregeln, auf SRF ins Auge sprang. Ich will nicht Moralapostel sein, im Gegenteil, auch ich lerne täglich dazu und habe noch viel Potenzial. Ich habe einfach gemerkt wie mir das Reisen die Augen öffnet und ich den Weg zu mir und meinen Werten finde. Das Nomadenleben war immer mein Traum. Als Kind wollte ich Winnetou heiraten und mit ihm durch die wilde Prärie ziehen. Oder als Pippi Langstrumpf oder Ronja die Räubertochter von Ort zu Ort ziehen. Einfach mit möglichst wenig Besitz glücklich sein. Ungebunden und frei die Welt entdecken. Dankbar sein für die kleinen und einfachen Dinge und nicht überlegen was andere von einem erwarten oder über einen denken. 


Während ich nämlich hier so schreibe, sitze ich an einem wunderschönen See in Portugal direkt am Ufer. Es ist unglaublich ruhig, sonnig und ein leichter Wind weht mir durchs Haar. Roger ist mit dem SUP unterwegs und 200 Meter weiter weg hat sich ein anderes Päärchen mit ihrem Van niedergelassen und die beiden liegen splitterfassernackt am Ufer. Das ist das einfache Leben und ich bin unendlich dankbar diesen Schritt gewagt zu haben. Das bin ich, so bin ich und so bin ich glücklich.


Pura vida

Cristina

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