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Inspiration auf der Alp

"Am reichsten ist der, der am wenigsten braucht"  oder "Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht" - zwei Zitate die mir während meinem Besuch bei meiner Freundin Sarah auf der Alp wieder mal deutlich bewusst wurden. 

 

Sarah lernte ich während meiner Zeit, 2009 - 2010, im Lötschental kennen. Sie arbeitete auf der Lauchernalp als Skilehrerin und ich bei Lötschental Tourismus. Eine Weile haben wir im Lötschental sogar in einer WG zusammen gelebt. Mich zog es zurück ins Bernbiet und Sarah blieb im Wallis. Erst durch diesen Blog und dank dem, dass Sarah mir eine Nachricht über das Kontaktformular gesendet hatte, kamen wir wieder in Kontakt. Zuerst tauschten wir uns schriftlich aus und seit ich wieder sesshaft im Wallis lebe, haben wir uns auch wieder live getroffen. Es tut gut, zu wissen, dass es Menschen mit gleichen Wertvorstellungen gibt und dass man nicht die einzige Person ist, die sich mit der Gesellschaft nicht identifizieren kann und sich oft Fehl am Platz und unwohl fühlt und die Einsamkeit in der Natur und den Bergen sucht. Der einzige Unterschied, Sarah lebt ihren Traum und geht ihren Weg. Ich bewundere Sarah sehr. Sarah arbeitet und lebt seit ein paar Jahren als Schafhirtin. Sie lebt mit den Tieren in und mit der Natur. Bei Wind, Regen, Kälte und Hitze. Einfach und unkompliziert ohne Luxus. Sie arbeitet täglich von früh bis spät und das körperlich und das alles für wenig Geld. Davon könnten sich so manche Manager eine Scheibe abschneiden. Ich habe das Gefühl Sarah hat ihre Berufung gefunden. 

 

Letztes Wochenende ging ich zusammen mit meiner Schwester Barbara zu Sarah auf die Alp. Am Samstagvormittag musste ich arbeiten. So traf ich Barbara um 14.00 Uhr in Visp am Bahnhof. Gemeinsam ging es weiter bis Turtmann und von Turtmann mit der Luftseilbahn bis nach Oberems. Oben bei der Bergstation angekommen kam mir bereits ein Bekannter von Sarah entgegen. Sarah hat mich nämlich am Vormittag angerufen und mir mitgeteilt, dass zwei ihrer Herdenschutzhunde ausgebüxt und nach Oberems gewandert sind. Sie fragte mich, ob ich mit Barbara die beiden Hunde zurückbringen würde. Ich als absoluter Hundeliebhaber musste nicht lange überlegen und willigte ein. Sarahs Bekannter überreichte uns die beiden Hunde "Bella" & "Caruso". Zwei wunderschöne, verschmuste und kuschelige Herdenschutzhunde. Barbara nahm Caruso und ich Bella an die Leine und wir wanderten los. Zum Glück waren wir am Anfang die meiste Zeit im Wald. Es war brütend heiss und der Schweiss lief uns in Bächen den Rücken runter. Die beiden Hunde schnaubten und genossen jedes Bächlein und jeden Brunnen für eine kurze Abkühlung. Unterwegs begegneten wir sechs weiteren Wanderern und dank den beiden Hunden kamen wir mit allen sofort ins Gespräch. Sie waren alle überrascht, dass die beiden Herdenschutzhunde so verschmust und lieb waren. Leider werden über diese Hunde viele Horrorgeschichten erzählt und die Menschen haben Angst, obwohl sie noch nie einem Herdenschutzhund begegnet sind. Für uns war es schön, dass wir immerhin sechs Menschen die Angst nehmen und ihnen zeigen konnten, dass Herdenschutzhunde liebe Wesen sind und einfach ihren Job erledigen. So wie man auf Hunde zugeht, so reagieren diese auch. Und logisch, wenn man mit einem anderen Hund eine Herde mit Herdenschutzhunden passiert, dass die Herdenschutzhunde bellen und auf andere Hunde nicht erfreut reagieren. Ich hatte bereits mehrmals mit Herdenschutzhunden Kontakt und noch nie gab es irgendwelche Probleme. Ich erinnere mich noch gut an den Trailrunning-Ausflug in den französischen Alpen mit Roger, als wir eine Herde passierten und der eine Herdenschutzhund sofort zu mir kam und er nicht genug von meinen Kuscheleinheiten bekommen konnte. :-) Ich glaube es ist Karma und Hunde spüren ob man sie liebt und offen auf sie zugeht. 

 

Als wir die Alp und die herzige kleine Hütte erreichten war Sarah mit den Schafen noch nicht zurück. Wir zogen trockene Kleider an und gönnten uns etwas zu essen. Ich machte mich dann auf die Suche nach Sarah und ihren Schafen. Nicht weit von der Hütte entfernt entdeckte ich Sarah mit ihrem Hirtenstock und den drei Hirtenhunden. Christian, ein Freund von Sarah, war auch zu Besuch und begleitete sie. Es war faszinierend Sarah und den Hunden bei der Arbeit zuzuschauen. Wie mir Sarah später erklärte gibt es zwei Varianten. Entweder man treibt oder man führt die Schafe. Sarah führt die Schafe und nutzt ihre drei Hunde als "natürlichen" Zaun. Die Hunde sorgen dafür, dass die Herde dort durchläuft wo Sarah sie führen möchte. Mit klaren Anweisungen gibt Sarah den Hunden Befehle. Ich begleitete Sarah und die Herde zurück zur Hütte wo die Herde in den abgezäunten Bereich für die Nacht geführt wurden. Zurück bei der Hütte versorgte Sarah zuerst ihre drei Hirten- und vier Herdenschutzhunde und die Schafe. Erst nachdem alle Tiere versorgt waren nahm sie sich Zeit für sich. Wir unterstützten Sarah so gut wir konnten. Christian kochte das Abendessen und ich pumpte Wasser durch den Katadyn-Filter, damit wir frisches Trinkwasser hatten. Die kleine Alphütte hat Sarah zusammen mit ihrem Vater umgebaut. Der Innenraum ist mega herzig und zweckmässig mit einem Kajütenbett, einem kleinen Esstisch, einem Bereich für die drei Hirtenhunde und einem kleinen Abstellraum für ein paar Kleider und das Notwendigste für die Monate auf der Alp eingerichtet. Ein Holzofen für kalte Tage und das Trocknen von nassen Kleidern versprüht Charme und macht die Hütte zu einem heimeligen, luxuriösen Ort ohne Luxus. Neben der Alphütte hat Sarah einen alten Stall wo sie das Hundefutter und ihre Esswaren aufbewahrt und eine kleine, zweckmässige Küche eingerichtet hat. 

 

Wir genossen das Abendessen an der frischen Luft an einem wunderschönen, milden Sommerabend. Belohnt wurden wir von der Natur mit einem Sonnenuntergang der seinesgleichen sucht. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Glücklich, unbeschwert und vollkommen. Es bedeutet mir unheimlich viel, dass ich Sarah auf ihrer Alp besuchen und an ihrem Leben als Hirtin eine kurze Zeit teilhaben durfte. Wir hatten uns viel zu erzählen und es war schön, den Abend in den Bergen, weit weg von der Zivilisation mit Gleichgesinnten verbringen zu können. Denn auch Christian ist ein Lebenskünstler. Sarah lernte ihn während den Wintermonaten auf den Weiden im Baselbiet kennen. Er wohnt in der Nähe von Eptingen in einem Wohnwagen auf einem Bauernhof. Auch er findet sein Glück in der Natur und in der Einfachheit - ohne Luxus und ohne nach materiellem Reichtum zu streben.  

 

Um 05.30 Uhr am nächsten Morgen hiess es aufstehen. Wieder wurden zuerst die Tiere versorgt. Dann genossen wir frischen Kaffee, Brot und super feinen Alpkäse unter freiem Himmel. Der Sonnenaufgang erblühte mein Herz und ich hätte vor Glück zerplatzen können. Die Gefühle, welche ich in solchen Momenten in den Bergen erlebe sind nicht in Worte zu fassen. Für mich gibt es nichts Schöneres als die Abgeschiedenheit und die Einfachheit in der Natur. Ich habe wieder mal gespürt wo ich hingehöre. Ich danke Sarah, dass sie mir ein Vorbild ist und mich inspiriert. Irgendwann werde auch ich meine Berufung finden. Es braucht einfach Zeit und den Mut auf sein Herz zu hören. Sich nicht von der Gesellschaft "umsteuern" zu lassen und sich nicht zu scherren was andere von einem denken. Es gibt kein richtig oder falsch, nur ich spüre was mir gut tut. Ich muss mich so lieben wie ich bin und zu mir finden. Erst dann bin ich frei und bereit meinen Schritt in die Freiheit zu gehen. 

Danke Sarah dass es dich gibt und wir uns getroffen haben. 

Ich war bestimmt nicht das letzte Mal bei dir auf der Alp.

 

Pura vida

Cristina

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Kommentare: 1
  • #1

    Latour Hanspeter (Dienstag, 18 Juli 2023 16:55)

    Schöner Beitrag Cristina.
    So kann unsere Gesellschaft nicht leben. Aber ein schönes Stück davon Abschneiden und das eine tun und das andere nicht lassen wäre bereits ein grosser Schritt in die wünschenswerte und für die Natur wichtige Richtung. Bezüglich der Herdenschutz Hunde habe ich beim Joggen in Niederhasli leider andere Erfahrungen gemacht! Würde mich riesig freuen uns wieder einmal auszutauschen. Heute machte ich einen Abstecher ins Paradis! Gesellschaftsbewusster ausgedrückt in eine natürliche Wildblumenwiese mit hunderten von Schmetterlingen!
    Lieber Gruss
    Hanspeter