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Alpenbrevet Gold

Weil Goms Tourismus als Sponsor beim Alpenbrevet mit dabei ist, bekamen wir für interne Zwecke drei Gratisstartplätze geschenkt. Und weil Niemand aus meinem Team teilnehmen wollte, übernahm ich zwei Plätze und lud Roger ein, mit mir das Alpenbrevet zu absolvieren. Eigentlich wollte ich mit Roger die Platin-Runde machen, doch weil die Plätze bereits alle ausgebucht waren, habe ich uns für die Gold-Tour angemeldet. :-) Roger meinte dazu: "Diese Tour ist mehr als genug für mich  :-)"

 

Ich war im 2015 das erste und letzte Mal am Alpenbrevet mit dabei. Damals habe ich zusammen mit Robi die Platin-Runde absolviert. Start und Ziel war noch in Meiringen. Toll, dass mein Rennvelo nun nach neun Jahren wieder mit am Start war. Dieses Mal mit Roger als Fahrer und mit etwas in die Jahre gekommenen Komponenten. Doch wie wir alle wissen, der Schein trügt oft, die mit den besten Velos und teuersten Klamotten sind nicht immer die Schnellsten. Auch das haben wir bei dieser Ausgabe wieder mal beobachten können. "Trampen" muss man zum Glück immer noch selbst, egal wie viel Geld man für Highend-Sportmaterial ausgeben kann. 

 

Für Roger war es der erste organisierte Velo-Event als Teilnehmer. Wir trafen uns am Freitagabend in Andermatt. Ich fuhr nach der Arbeit mit Sämi über den Furkapass und Roger kam von Basel mit dem Zug angereist. Bereits nach dem Check-In meinte er, dass dieses Velo-Volk ein ganz anderes sei, als das Volk welches er letztes Jahr an meinen Selfsupportet-Backpacking Events kennengelernt hat. Ich musste nur schmunzeln und konnte es nicht verneinen. Es gab tatsächlich Fahrer, welche sich am Freitagabend beim Start- und Zielgelände noch die Beine rasierten. Es war ein Sehen und Gesehen werden. Hauptsache schickes Auto, ultra teures Rennvelo und dann noch Veloklamotten wie aus dem Ei gepellt, farblich abgestimmt über die Schuhe, Socken bis zum Helm. Bei einem Event mit 3'500 Teilnehmern gibt es aber zum Glück auch Normalos mit ähnlichen Werten wie wir beide sie pflegen. 

 

Wir legten uns früh in unseren Sämi zum schlafen. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Irgendwie war ich doch ein bisschen nervös, obwohl es ja "nur" 4 Pässe waren und einfach eine gemeinsame, längere Ausfahrt mit hunderten von anderen Menschen werden sollte. Beim Alpenbrevet wird zwar die Zeit gemessen, doch zum Glück gibt es keine Rangliste und auch keine Gewinner und Gewinnerinnen. 

 

Ich war froh, als es endlich 5 Uhr morgens war und wir aufstehen konnten. Kurz etwas frühstücken, anziehen und auf gings zum Start. Wir kamen fünf Minuten vor dem Start beim Startbereich an und mussten uns irgendwie zwischen die 1'500 Fahrer quetschen, welche alle gemeinsam um 05.45 Uhr auf die Gold-Strecke geschickt wurden. Die Temperatur war angenehm. Nicht zu kalt und auch nicht zu warm. Als der Startschuss ertönte mussten wir ein paar Minuten warten, bis auch wir uns in Bewegung setzen konnten. 

 

Mit Roger habe ich im Voraus abgemacht, dass er den Rhythmus bestimmen soll. Ich war sozusagen seine Edelhelferin. Wenn es stark windete gab ich ihm Windschatten, ich verpflegte ihn mit Gummibärli etc., machte Fotos und wenn es mal härter wurde, versuchte ich ihm gut zuzureden und ihn zu motivieren. So fuhren wir gemächlich los in Richtung Oberalppass. Die Stimmung war grandios. Wie ein Tatzelwurm schlängelte sich die Lichterkette der 1'500 Velofahrer den Oberalppass hinauf. Von oben muss das ein herrliches Bild abgegeben haben. Zum Glück ist Roger die Ruhe selbst und überhaupt nicht ehrgeizig oder verbissen. Er fuhr schön in seinem Tempo und liess sich nicht mitreissen, wenn andere Fahrer, wie von der Tarantel gestochen, neben uns vorbei huschten. Der Oberalppass war schnell erklommen. Das Dessert sozusagen zum Start der Tour. Die Pässe wurden in dieser Reihenfolge von Pass zu Pass anspruchsvoller. 

In der Abfahrt liessen wir es richtig krachen. Roger immer schön an meinem Hinterrad überholten wir Fahrer um Fahrer. Einmal, als ich ein Auto in einer Kurve überholte wurde Roger von einem Begleittöff aufgehalten und ausgebremst. Er musst eine Weile hinter dem Auto herfahren. Zum Glück kam weiter unten eine rote Ampel und ich musste sowieso warten, so konnte er wieder zu mir aufschliessen. Beim Berghochfahren warte ich gerne und da kann ich mich gut zügeln und gemächlicher fahren, doch beim Runterfahren warte ich überhaupt nicht gerne. Deshalb bin ich super froh, dass Roger auch mit meinem alten Drahtesel und Felgenbremsen beim Runterfahren Vollgas gibt und ich nie auf ihn warten muss. Da noch nicht viele Autos unterwegs waren, konnten wir gut überholen und es wurde nie wirklich kritisch. Weiter unten auf der Fläche erwischte ich einen grossen, schnellen Mann welcher uns Windschatten gab. Er zog uns in einem Sog bis nach Disentis. Bevor es in den nächsten Aufstieg ging, gönnten wir uns an der Verpflegungsstation eine kurze Pause. Die Verpflegungsstationen waren grandios. Es gab immer regionalen Käse, Brot, Bouillon, Cola, diverse Riegel, Schokolade und Früchte. Alles was das Herz begehrte. Ich stopfte an jeder Verpflegungsstation einen dieser mir bis dahin unbekannten, aber super leckeren Powerriegel, sowie insgesamt bestimmt ein halbes Kilo Käse plus Brot und Bouillon in mich hinein. Meine 10 Riegel und Nussmischung, welche ich für uns beide als Proviant mitgenommen habe, hätte ich zu Hause lassen können. Denn am Ende kam ich mit mehr Riegeln zurück als ich mitgenommen habe! Unterwegs habe ich, ausser ein paar Gummibärli, nie etwas gegessen. Ich habe mir immer nur an den Verpflegunsstationen den Bauch vollgeschlagen. Bei Käse kann ich mich einfach nicht beherrschen. 😂

 

Den Lukmanierpass bin ich im 2015 zum ersten Mal, aber von Biasca her, hochgefahren. Seither habe ich diesen Pass nie mehr bezwungen. Deshalb war die Strecke ab Disentins bis Biasca für mich völlig unbekannt. Ich liebe es, wenn ich nicht weiss was kommt und ich die Strecke nicht kenne. Die Gegend war wunderschön und die Temperatur immer noch angenehm, so dass wir weder kalt noch zu heiss hatten. Roger fuhr auch hier immer schön in seinem Tritt. Für Roger war es aber kein Problem, wenn ich manchmal in meinen Tritt verfiel und eine Weile auf und davon fuhr. Ich fuhr dann immer wieder zu ihm runter und wieder mit ihm hoch. Eine sogenannte Win-Win-Situation. So verflossen Kilometer um Kilometer. Den langen Tunnel auf dem Lukmanierpass war in meinem Hirn nicht mehr präsent, oder gab es den im Jahr 2015 noch gar nicht? Auf alle Fälle checkten wir zuerst gar nicht, dass wir bereits auf dem Pass angekommen waren als es plötzlich im Tunnel wieder runterging. Auch diese Abfahrt war grandios. Wir liessen es krachen und verpassten vor lauter Euphorie noch fast den Verplfegungsposten in Olivione. Dort war der Käse noch besser als in Disentis ;-).

 

Ab Olivione fuhren wir gemeinsam mit drei anderen Fahrern weiter bis nach Biasca. So konnten wir uns bei der Führungsarbeit abwechseln. Die Kommunikation zwischen Roger und mir funktionierte super. Ich rief immer Roque, noch da? Und zum Glück kam immer eine Antwort. Ab Biasca kannte ich die Strecke noch vom letzten Jahr, als ich mit Valentin am SUCH das ganze Tessin hochfahren musste. Zuerst fuhren wir mit einer kleinen Gruppe weiter. Doch leider ziehen gewissen Typen das Tempo immer an, sobald sie die Führung übernehmen. Für Roger war es sowieso das erste Mal in einer Gruppe zu fahren und auch ich fahre normalerweise nur alleine. Ich wusste, diese Tempowechsel machen Roger und auch mich kaputt. Wir liessen uns aus der Gruppe fallen und fuhren die restlichen 30 Kilometer bis Airolo alleine weiter. Wenn die Topografie es zuliess, versuchte ich Roger Windschatten zu geben und sonst fuhr ich einfach mein Tempo und wartete wieder auf Roger oder fuhr zu ihm zurück. Ich wollte ihn auf keinen Fall verheizen und ich wusste, dass die Deadline in Airolo für uns absolut kein Problem darstellte. Roger meinte nur, dass ich die anderen Fahrer wohl verrückt mache, wenn ich diese immer wieder überholte, wieder runter fuhr und dann wieder an ihnen vorbei fuhr. ;-) Doch sie haben mich alle immer wieder mit einem Lächeln begrüsst, deshalb denke ich nicht, dass es irgendeiner gestresst hat. Unter den Fahrern, also mit denen wo wir unterwegs waren, herrschte sowieso eine gute und völlig entspannte Stimmung. Kein Gehetze, einfach eine gemütliche Kaffeefahrt. 

 

In Airolo nieselte es leicht aus den Wolken. Angenehm für uns zum Hochfahren, weniger gemütlich für die Fahrer der Bronze, Silber und Platin-Runde welche den Nufenenpass von Ulrichen bezwangen und in dichtem Nebel nach Airolo runterfahren mussten. Auch den Nufenenpass bin ich noch nie in dieser Richtung hochgefahren. Von meinen unzähligen Fahrten runter, wusste ich aber trotzdem was noch alles auf uns zukommt. Die Steigung war aber sehr angenehm und durch den Nebel war es  kühl. Auch diesen Pass bezwang Roger mit Bravour. Bei der Abfahrt konnten wir uns einen Juchzer nicht verkneifen als uns auf der Walliserseite Sonnenschein und eine trockene Strasse erwarteten. Die Abfahrt vom Nufenenpass kenne ich wie meine Hosentasche. Jede Kurve und jede Bodenwelle bin ich bereits unzählige Male runtergebrettert. So konnten wir es auch hier richtig krachen lassen. Und zum Glück mussten wir nur einmal ein Auto überholen und hatten ansonsten freie Bahn. Beim Verpflegungsposten in Ulrichen wollte ich mich sogleich auf die Trockenwürste stürzen, doch leider haben die Teilnehmer der drei anderen Runden bereits alle Würste aufgegessen. Bereits seit dem Start in Andermatt hatte ich Roger immer von den feinen Würsten erzählt, welche wir dann in Ulrichen essen können. Tja, auf diese Würste haben sich wohl nicht nur wir gefreut. 

 

Ab Ulrichen war es sozusagen ein Heimspiel für mich. Ich zog Roger und einen anderen Fahrer im Windschatten bis nach Oberwald. In Oberwald musste ich vor Freude jubeln, weil nun der Aufstieg auf den Furka folgte. Der andere Fahrer meinte nur, er könne meine Euphorie nicht teilen. Roger erklärte ihm, dass ich nichts lieber mache als Pässe hochzufahren. Der Furka war auch für Roger nicht unbekannt und er konnte sich seine Kräfte bis zu Oberst gut einteilen. Oben erwartete ich Roger mit dem Song "bring en hei". Ich umarmte und gratulierte ihm. Nochmals etwas Zucker für die Konzentration der letzten Abfahrt, ein paar Nüsse und auf gings auf die letzten Kilometer. Ich weiss natürlich nicht was in Roger drin alles vor sich ging, in mir auf alle Fälle waren lauter Glücksgefühle und ich war so stolz auf Roger. Er hatte noch nie 200 km am Stück, geschweige denn mehr als 3'500 Höhenmeter auf einer Tour absolviert. Und jetzt hatten wir das Ziel vor Augen. Von Realp bis Andermatt holte ich nochmals alles aus mir raus. Ich pushte mit Roger und zwei anderen Fahrern im Schlepptau in Richtung Andermatt. Kurz vor Andermatt haben uns die beiden anderen Fahrer aus dem Windschatten heraus noch übersprintet. Roger musste nur lachen und ich sagte ihm das sei normal. ;-)

 

Überglücklich und gesund durften wir gemeinsam die Ziellinie in Andermatt überqueren. Was für ein Tag, was für ein Erlebnis. Alles hat gestimmt. Das Wetter, die Bedingungen, keine Pannen, keine Krisen und wir harmonierten einfach bestens. Danke Roger, dass du deine Komfortzone verlassen und mit mir dieses Abenteuer gewagt hast! Auch wenn ich nie meine Komfortzone verlassen musste, ging dieses Abenteuer auch an mir nicht spurlos vorbei. Ich war happy im Ziel zu sein und habe mir gedacht wie ich jemals 1'000 Kilometer am Stück fahren konnte. Aber ja, schlussenlich ist alles im Kopf und wenn wir 300 km hätten machen müssen, wäre auch das gegangen.

 

Der Bericht wurde etwas länger als geplant. Danke, falls du bis zum Ende durchgehalten hast!

 

Pura vida 

Cristina

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Kommentare: 3
  • #1

    Latour Hanspeter (Montag, 09 September 2024 10:16)

    Liebe Cristina und lieber Roger
    Herzliche Gratulation zu dieser tollen Leistung!
    Stellt euch vor ihr hättet je so gut Fussball gespielt wie ihr Velofahren
    könnt! Beide hätten eine grosse Karriere gemacht. Aber ich glaube ihr seid glücklich und stolz so wie es jetzt ist, was ja im gelungenen Beitrag schön zum Ausdruck kommt.
    Lieber Gruss
    Hanspeter und Thilde

  • #2

    Vreni (Montag, 09 September 2024 10:49)

    Salü zäme ech be eifach öberwältiget vo dere Leischtig ‚ wo weder einisch zeigt was mer zäme cha erreiche wenn mer es klars Ziel het �drom machit witer so zäme �ganz es liebs Grüessli us Sissle ��

  • #3

    Kusi (Montag, 09 September 2024 18:39)

    Gratulliere Euch Beiden....
    Und an Budi Latour gerichtet möchte ich nur sagen Roger war und ist noch immer ein hervorragender Schütteler