Während ich schreibe, sitze ich an unserem Camping-Tisch an der Sonne mit Blick auf das Mittelmeer. Neben mir Roger in seinem Campingstuhl, den Tolino E-Reader auf dem Schoss und das Bier in der Hand.
Jährlich ruft das Murmeltier - ein Spruch welcher wohl gut zu uns und der aktuellen Situation passt. Roger hat seit gestern für zwei Wochen unterrichtsfreie Zeit und ich Ferien. Wie in den letzten beiden Jahren sind wir mit unserem Sämi wieder in der Region Katalonien in Spanien gelandet. Doch bevor wir gestern von unserem Daheim losfuhren, durfte ich zwei spannende und sehr lehrreiche Tage in einem Waldstück bei Schönbühl verbringen. Ich besuchte einen zweitägigen Holzerkurs zur Handhabung der Motorsäge.
Ein Blick in den Wald
Es ist Donnerstagmorgen kurz vor sechs Uhr morgens als ich Rogers kleine Einzimmerwohnung in Basel verlasse. Mit nigelnagelneuen Schnittschutzhosen, Rucksack, meine Motorsäge in einem blauen Ikea-Sack, steige ich nervös in Basel in den Zug Richtung Bern. Am Bahnhof Bern herrscht Getümmel als ich mir meinen Weg zum Gleis 24 bahne. Unterwegs kreuze ich Michael, mit seinen Skis auf der Schulter. Wir grüssen uns kurz, er steigt wohl in den Zug in Richtung Wallis, welchen ich soeben verlassen habe. Ich gönne mir nochmals einen Kaffee inklusive einem Laugengipfel und steige dann in die S8, welche mich nach Schönbühl RBS bringt. Beim Einfahren in den Bahnhof erkenne ich meine "Taxifahrer" sofort, obwohl ich die beiden vorher noch nie gesehen habe. Beide tragen sie auch leuchtend orange Schnittschutzhosen. Sie sind mir von Beginn weg sympathisch. Gemeinsam fahren wir zum Treffpunkt bei der Waldhütte. Es sind alle pünktlich und wir fahren mit den Autos weiter bis zu einem privaten Waldstück, welches für die nächsten zwei Tage unser Kursrevier sein wird.
Dominik, Forstwart und unser Instruktor, hat bereits alles vorbereitet. Er begrüsst uns und wir stellen uns in einer kurzen Vorstellungsrunde vor. Wie erwartet bin ich unter den neun Teilnehmern die einzige Frau. Anders als in den diversen Weiterbildungen im Bereich Tourismus, Marketing oder Kommunikation, welche ich in meinem Leben bereits besucht habe, reden wir hier alle die gleiche Sprache. Alle sind da um etwas zu lernen, keiner fühlt sich unersetzlich und keiner prahlt mir irgendwelchen Doktor- oder Mastertiteln oder damit, welchen Chefposten er aktuell belegt. Vom Landschaftsgärtner über einen pensionierten Juristen, welcher das Ziel hat seiner Tochter in Australien auf der neuen Ranch zu helfen bis zum Bürogummi Cristina sind alles Handwerker aus verschiedenen Branchen. Ich fühle mich wohl und zum ersten Mal in einem Kurs am "richtigen" Platz.
Zuerst folgt ein Theorieblock. Es ist noch frisch, die Sonnenstrahlen kommen noch nicht durch die Bäume zu unserem Platz. Gemeinsam schauen wir uns die einzelnen Teile der Motorsäge im Detail an. Was sind die Gefahren und welche Schutzvorkehrungen sind an der Säge angebracht. Wir erfahren mehr über die Richtlinien bei der Forstarbeit und die eigene PSA (Persönliche Schutzausrüstung). Dominik kann sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen als er so in die Runde und auf die bei den meisten nigelnagelneuen und noch sauberen Schnittschutzhosen blickt. Zum Glück bin ich nicht die einzige mit den günstigen Landi-Hosen ;-). Doch auch die Landi Hosen sind mittlerweile ziemlich gut und erfüllen die nötigen Bestimmungen der Klasse 1. Wie wir lernen, halten die Hosen 20 Meter pro Sekunde. Was so viel bedeutet wie knapp 80 km/h. Dass die Kette einer Motorsäge aber bei Vollgas eine Geschwindigkeit von 120 km/h leistet, wusste ich bisher nicht. Die Schnittschutzhose ist nicht darauf ausgelegt, dass man sich mit Vollgas ins Bein schneidet, sondern verhindert Verletzungen beim Abrutschen, Kick-Back oder Ähnlichem.
Nach der Theorie verschieben wir in den Wald. Jeder von uns mit seiner persönlichen Motorsäge in den Händen. Natürlich wie vorher gelernt, mit dem Schwert nach hinten. In Gruppen aufgeteilt üben wir die Aufgaben, welche uns Dominik gibt. An einem Baumstrunk schneiden wir möglichst dünne Scheiben. Meine Motorsäge will nicht recht. Sie ist alt und das Schwert, wie ich erfahre, für den Motor und die Leistung meiner "Hobby-Stihl-Säge", zu gross. Dominik leiht mir seine "kleinste" Säge. Eine Husqvarna mit mehr "PS" wie ich schnell feststelle. Ich bilde mit Niklaus und Hans ein Dreierteam. Hans ist mit der Säge aufgewachsen, das merke ich schnell. Auch Niklaus ist das Arbeiten mit Holz gewöhnt. Beide zeigen mir immer wieder Tricks. Als wir dann das erste Mal einen kleinen Baum selbständig fällen dürfen, überlassen sie mir den Fällschnitt. Mit diesem Einsteigerkurs sind wir befugt Bäume von einem maximalen Durchmesser von 20 cm zu fällen. Dominik hat extra Bäume für uns mit einem Kreuz gekennzeichnet, bei welchen wir alle Techniken üben können. Von Vorhängern über Schwachhölzer mit Keilen und Bäumen die hängen bleiben ist alles dabei. Wir lernen die Unterschiede zwischen dem Entasten von Laub- und Nadelholz kennen sowie die verschiedenen Spannungen welche es bei Trennschnitten zu beachten gilt. Er fordert aber überfordert uns nicht und lässt uns alles selbständig entscheiden und ausprobieren. Steht bei Fragen zur Seite und beobachtet uns mit seinen Kenneraugen. Der erste Tag ist im Nu vorbei.
Ich darf bei Nicole und ihrer Familie in Jegenstorf übernachten und falle müde und zufrieden ins Bett. In den Träumen bin ich am Holzen, mache Fallkerben und Entaste. Der Schlaf ist trotzdem tief und fest und bereits beim Aufstehen freue ich mich wie ein wedelnder Hund wieder in den Wald zu dürfen. Auch am zweiten Tag werde ich von Niklaus und Hans am Bahnhof abgeholt. Heute starten wir direkt mit Fällarbeiten. Gibt es im Holzschlag doch noch einiges zu tun. Es ist bei allen Teilnehmern ein Fortschritt zu erkennen. Wir fällen in Gruppen, helfen einander beim Entasten und Dominik baut immer wieder etwas Theorie ein. Wir lernen das Arbeiten mit einer Seilwinde und wie man mit der Winde an verschiedenen Ankerpunkten auch Hindernisse umgehen kann. Zum Mittagessen bräteln wir Cervelats und geniessen die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut. Sogar einen Benzinkocher hat einer der Teilnehmer mitgebracht und alle dürfen wir einen feinen Kaffee geniessen. Am Nachmittag erledigen wir die restliche Arbeit und zum Schluss lernen wir unsere Motorsäge auseinander zu nehmen und fachmännisch zu reinigen. Wir lernen die Unterschiede von verschiedenen Ketten und dem Meissel- und Halbmeisselzahn kennen. Auch das richtige Schleifen und Feilen will gelernt sein. Ich bin voll im Flow und sauge alles in mich auf.
Viel zu schnell sind die beiden Tage wieder vorbei. Zum Ende gibt's einen gemeinsamen Check ob wir alle unsere Kursziele erreicht haben. Meine persönlichen Ziele und Erwartungen an die beiden Tage wurden mehr als erreicht. Stolz und glücklich erhalte ich von Dominik am Ende noch die Bestätigung, dass ich den Kurs bestanden habe. Der Abschied fällt mir schwer, viel zu gerne würde ich den Kurs am nächsten Tag fortsetzen. Ein Teilnehmer setzt mich wieder am Bahnhof ab und in Bern treffe ich auf Roger, welcher von Basel angereist kam. Gemeinsam nehmen wir den Zug zurück ins Wallis. Ich überschütte Roger mit meinem neuen Wissen, nehme im Zug die Motorsäge zur Hand und zeige ihm alles was ich gelernt habe. Natürlich ohne die Motorsäge in Betrieb zu nehmen. Ganz ohne Lärm, einfach nur in der Theorie. Es sprudelt nur so aus mir heraus und ich muss mir gestehen, dass ich seit Jahren nie mehr so glücklich aus einem Weiterbildungskurs gekommen bin. Noch nie habe ich mich in einer Gruppe so wohl und verstanden gefühlt. Nicht einmal in meinen Ausbildungskursen zur SAC Skitourenleiterin oder Langlauflehrerin. In mir schlummert tief versteckt und verankert eine Handwerkerin. Bereits als Mädchen hat mich der Beruf des Zimmermanns fasziniert. Doch im Progymnasium und weil ich so gut in Mathe war, hiess es immer, ich solle doch studieren und etwas handwerkliches sei nichts für Mädchen. Ich war die Einzige aus meiner Klasse, die sich für eine Lehre und nicht den Gymer interessierte. Im Jahr 1999 als ich die 9te Klasse beendete gab es noch nicht so viele Möglichkeiten. Aber im Leben hat alles seinen Sinn und obwohl ich meinen Sinn immer noch am Suchen bin, bin ich einfach nur happy dass ich die Chance und Möglichkeiten habe, immer wieder Neues zu lernen und mir die Türen offen stehen.
Ich bin immer fasziniert, wenn ich Menschen wie Dominik treffe. Dominik unser Instruktor ist Forstwart durch und durch. Er strahlt eine Freude, eine unglaubliche Kompetenz und Enthusiasmus aus. Man merkt dass er seine Berufung gefunden hat und sein Wissen gerne weitergibt. Er macht das nicht für andere, sondern nur für sich. Diesen Kurs kann ich von ganzem Herzen weiterempfehlen. Gerne wünsche ich mir, dass auch ich irgendwann in meinem Leben diesen Punkt erreichen und meine Berufung und den Sinn meines Lebens finde werde.
In dem Sinne wie schon Aristoteles gemeint hat: „Wo deine Talente und die Bedürfnisse der Welt sich überschneiden, da liegt deine Berufung."
Pura vida
Cristina
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Berger Christian (Montag, 14 April 2025 09:23)
hoi hesch dis wärtvouä wüssä zum sagifilä im kurs o chonnä witergä? lg