Während ich schreibe und an den gestrigen lehrreichen Tag denke, kommt mir der Spruch von Res in den Sinn. Damals im Frühling 2010 als ich als absolute Skianfängerin das erste Mal die Patrouille des Glacier von Zermatt nach Verbier absolvierte, gab mir Res den mentalen Tipp: "was de hesch, das hesch" mit auf den Weg. Ein Spruch, welcher mich bei vielen Projekten immer wieder motiviert und begleitet hat. So auch gestern an unserem Kurs zum Bau von Trockensteinmauern.
Es ist acht Uhr morgens und wir, das heisst unser Lehrmeister Nicola, meine Schwester Barbara, mein Kollege Diego mit seiner Freundin Susanne, Roger und ich sitzen an unserem Küchentisch und trinken einen Kaffee zum Start in den Tag. Eine halbe Stunde später stehen wir alle vor der heutigen Baustelle.
Wie es dazu kam
Nicola arbeitet als selbständig Erwerbender im Gartenbau, spezialisiert auf Trockensteinmauern. Durch eine ausgiebige Internetrecherche bin ich über den Schweizerischen Verband für Trockensteinmauern auf sein Kursangebot aufmerksam geworden. Meine ursprüngliche Idee an einem offiziellen Kurs teilzunehmen, habe ich ziemlich rasch über Bord geworfen. Ich schrieb ihm eine Mail und fragte, ob wir ihn nicht für einen eigenen Kurs bei uns engagieren können? Da er terminlich ziemlich ausgebucht ist und in der Regel am Wochenende lieber mit seiner Familie unterwegs ist, einigten wir uns vorerst auf einen Eintageskurs an einem Samstag. Als das Datum feststand, luden Roger und ich ein paar unserer Freunde ein, gratis am Kurs teilnehmen zu dürfen, und dafür direkt am Wiederaufbau von unserer einten Mauer mitzuhelfen. Eine sogenannte Win-Win-Situation;-)
Von der Theorie in die Praxis
Als erstes erhalten wir von Nicola eine theoretische Einführung in die Geschichte der Trockensteinmauern. Wie das Handwerk bis Ende der 1950er Jahren zu den regelmässigen Arbeiten der Bauern gehörte und dann, durch die Modernisierung und der zunehmenden Mechanisierung in der Landwirtschaft sowie Abwanderung vieler Arbeitskräfte in andere Branchen, verloren ging. Erst viele Jahre später hat die "Stiftung Umwelteinsatz" beschlossen, sich für den Wiederaufbau und Unterhalt der Trockensteinmauern zu engagieren. In Schottland fand man in Richard Tufnell einen humorvollen Menschen, der dieses Handwerk noch von A bis Z beherrscht. Dank seinem grossen Wissen wurde die Handwerkskunst wieder in die Schweiz gebracht und in einem kleinen Buch 1996 festgehalten. Dieses Büchlein haben Roger und ich vor dem Kurs ausgiebig studiert und wir konnten deshalb bereits mit einem kleinen Wissensvorsprung in den Kurs starten! ;-)
Die wichtigsten Elemente einer Trockensteinmauer sind die Fundamentsteine. Diese Steine bilden, wie der Name bereits sagt, das Fundament der Mauer. Sie müssen gross und solide sein, da sie das ganze Gewicht der Mauer tragen. Zusätzlich zur Grösse muss jeder Stein, welcher an die Stirnseite der Mauer kommt, ein schönes "Gesicht" aufweisen. Wie bei den Menschen, sind auch bei den Stein-Gesichtern die Geschmäcker verschieden. Ich mag es lieber verspielt und weniger gerade, während wiederum andere, gerne eine glatte Fassade der Mauer bevorzugen. Dann kommen die Bausteine, bestehend aus Läufer und Binder. Ein Baustein hat mindestens eine flache Seite und keine Spitzen. So die Theorie. Zusätzlich setzt man Durchbinder zur Verbindung der ganzen Mauer sowie die Hintermauerungssteine zur Füllung ein. Den Abschluss machen die Decksteine. Zur Vorstellung, wie viele Steine für eine Mauer gebraucht werden gibt's eine allgemeine Faustregel: Pro Laufmeter Mauer mit einem 70 cm breiten Fundament und einer Höhe von einem Meter muss mit ungefähr einer Tonne Steine gerechnet werden. Das Rechnen, wie viele Steine wir zur Reparatur unserer unzähligen Mauern brauchen, lassen wir aus mentalen Gründen vorerst sein. Denn, wie wir bereits nach dem Studium des Büchleins wussten, wurden unsere Mauern nicht fachmännisch aufgebaut. Obwohl sich der Verkäufer unseres Hauses als selbständiger Trockensteinmaurer bei anderen Menschen angepriesen hat, hatte er doch nicht das "richtige" Handwerk erlernt. In der Schweiz kann sich jeder Spezialist nennen im Trockensteinmauern bauen, weil dies kein offizieller und vom Staat anerkannter Beruf ist.
Stein um Stein - was de hesch, das hesch
Nach der theoretischen Einführung geht es los und wir legen gemeinsam die ersten Fundamentsteine. Roger hat bereits in mühsamer Vorarbeit die alten Steine nach Grösse etc. sortiert. Ich darf zum ersten Mal unseren Abbruchhammer in Betrieb nehmen und einen grossen Stein, welcher beim Abbruch in der Erde zum Vorschein kam, wegspitzen. Wie bei allen Arbeiten bin ich meistens fürs Grobe und den Abbruch zuständig:-) Ich habe wohl eine zerstörerische Ader in mir. ;-) Auf alle Fälle habe ich ein neues Hobbie entdeckt und ich freue mich schon, wenn ich für den Ausbau unseres Bades, den grossen Felsen im Keller wegspitzen darf. Beim Zurechtspitzen der Steine mit dem Meissel und Hammer kann ich weniger punkten. Roger hingegen, entpuppt sich, wie bei fast allen Arbeiten mit den Händen, als Naturtalent. Er spitzt und hämmert als hätte er das schon immer gemacht. Nicola lässt uns freie Hand, steht bei Fragen zur Seite, zeigt uns wie man mit den verschiedenen Werkzeugen umgeht und auf was wir beim Bau alles achten müssen. Zuerst bin ich gehemmt. Ich habe immer das Gefühl, dass ich das nicht kann und etwas falsch mache. Doch mit dem Üben steigt die Sicherheit und da ich eher Pragmatikerin bin und logisch Denken eine Stärke von mir ist, liegt mir dieses Tetris spielen ziemlich bald. Wir harmonieren super in der Gruppe. Die grösste Freude macht mir meine Schwester Barbara. Es bedeutet mir viel, dass sie extra aus Zürich angereist ist und motiviert am Kurs teilnimmt und tatkräftig mithilft. Sie weist mich beim Fotografieren auf das Recht am eigenen Bild hin, deshalb wird hier im Blog kein Bild von ihr erscheinen, obwohl ich so stolz auf sie bin.
Die Stunden vergehen wie im Flug. Vor lauter Eifer verpassen wir fast die Mittagspause. Für Roger und mich normal, da wir in der Regel Tags durch nie etwas essen. Doch unsere "Gäste" müssen wir mit Sorgfalt behandeln. So legen wir eine Mittagspause mit kalter Platte und alkoholfreiem Bier ein. Susanne hat noch einen selbstgebackenen Rhabarberkuchen mitgebracht, welchen wir bei einem Cappuccino auf unserer Sonnenterrasse geniessen. Nach der Pause legen wir gleich wieder los. Diego und ich, beides eher ungeduldige Menschen, müssen lernen, dass das Bauen einer Trockensteinmauer unendlich Zeit und viel Geduld bedarf. Die richtigen Steine am richtigen Platz zu platzieren und dabei keine langen Fugen und keine Hohlräume zu hinterlassen. Immer schön ein Stein auf zwei Steine. Läufer nur verwenden wenn es wirklich Sinn ergibt. Die Neigung der Mauer im Griff behalten und die Hohlräume mit Hintermauerungssteinen gut auffüllen und zu guter Letzt das schöne Gesicht nicht vergessen! ;-)
Nach getaner Arbeit lassen wir den Abend bei Pizza aus unserem Outdoorpizzaofen und Bier gemütlich ausklingen. Wir haben unendlich viel gelernt und Roger und ich noch viel Arbeit vor uns. Weil das Datum leider anderen Freunden von uns nicht gepasst hat, überlegen wir uns, einen zwei- oder dreitätigen Kurs im Herbst mit Nicola bei uns zu organisieren. Solltest du dich beim Lesen dieser Zeilen angesprochen fühlen, so melde dich bei Roger oder mir und wir halten dich über die weitere Planung auf dem Laufenden.
Bis zum nächsten Mal.
Cristina
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