Endlich ist der Tag da – der Tag, auf den wir uns seit unserer Anmeldung freuen.
Es ist fünf Uhr morgens, und rund um unseren Sämi auf dem Parkplatz beim Strandbad in Thun herrscht bereits reges Treiben. Von überall her reisen Sportler als Single, im Couple oder in Teams an.
Roger und ich sind beide noch müde, stehen aber auf und essen unser Frühstück, um langsam in die Gänge zu kommen. Roger zieht sich den Neoprenanzug an, den uns Adrian für den Inferno ausgeliehen
hat. Kurz nach sechs Uhr machen wir uns gemeinsam auf den Weg zum Startgelände.
Um 6:30 Uhr ertönt der Startschuss.
Geschmeidig begeben sich alle Schwimmer in den Thunersee. In der Ferne ist das Schloss Oberhofen, das Ziel der ersten Etappe, zu sehen. Es ist wellig, und ein leichter Wind bläst uns Zuschauern
ins Gesicht. Ich verabschiede mich von Nicole & Susanne und mache mich im Sämi für meine beiden Etappen bereit. Mit Rennvelo und Wechselkleidern fahre ich los zur Wechselzone in
Oberhofen. Dort treffe ich Ursin, den Sohn meines Lieblingschefs. Er absolviert den Inferno zusammen mit seiner Schwester und zwei weiteren Spiezern im Team. Ihn werde ich unterwegs nicht
mehr sehen. Sein Ziel, die Rennvelostrecke in 3 Stunden und 30 Minuten zu fahren hat er geschafft, wie ich später am Abend auf der Rangliste sehen werde! :-)
Gespannt warten wir alle auf unsere Schwimmer. Die erste Athletin erreicht Oberhofen nach 47 Minuten, völlig ausgepumpt. Immer wieder höre ich von den ankommenden Schwimmern, wie wellig und krass es war. Meine Gedanken sind bei Roger. Ich hoffe, dass er gut zurechtkommt und es ihn nicht anscheisst. Doch so wie ich Roger kenne, wird er das ohne Probleme meistern.
Nach 1 Stunde und 12 Minuten kommt mir ein strahlender Roger entgegen gerannt. Ich mache ein Foto, wir wechseln Chip, Umarmung und Kuss. Dann verabschieden wir uns. Das nächste Mal werden wir uns erst in Stechelberg wiedersehen.
Ich schiebe mein Rennvelo durch die Wechselzone und humple über den Rasen, beim Laufen muss ich mit meinem Fuss noch vorsichtig sein. Bald sitze ich auf der Strasse im Sattel. Es fühlt sich gut an. Unsicher bin ich, wie erholt ich nach den 536 km und 8500 Höhenmetern von letzter Woche bin. Ohne Gepäck fühlt sich das Velo leicht an, fast wie fliegen. Wie schnell darf ich fahren? Jetzt fahre ich nicht nur für mich, sondern für uns. Ich höre auf meinen Körper und bin froh, als es endlich in den ersten Aufstieg Richtung Beatenberg geht.
Beim Bergauffahren fühle ich mich wohl. Schon bald fangen mein Fuss und mein Rücken an zu schmerzen. Ich bin extra am Tag davor noch eine kleine Runde auf dem Velo zum Wiedereingewöhnen gefahren. Auch da hatte ich komischerweise mit Rückenbeschwerden zu kämpfen. Es nützt nichts, sich aufzuregen. Es ist, wie es ist – mein Körper ist halt einfach noch nicht wieder im Schuss! ;-) Ich weiss ja mittlerweile, dass ich Übelkeit und Schmerzen ziemlich gut übergehen kann und mich davon nicht aus der Ruhe bringen lasse. Immerhin kann ich essen, und das macht mir Freude. Beim Bergauffahren überhole ich viele Athleten, die vor mir gestartet sind, was mir natürlich gut tut. Ich weiss aber auch, dass das Schlimmste noch kommt.
Kaum in Interlaken angekommen, beginnt für mich der härteste Abschnitt. Bis Meiringen ist es flach, dazu noch mit leichtem Gegenwind. Windschattenfahren ist am Inferno verboten. So quäle ich mich alleine dem Brienzersee entlang. Noch vor einer Woche bin ich mitten in der Nacht hier durchgefahren, wie schön es war, so ohne Autos, ganz alleine für mich. Jetzt heisst es durchbeissen. In der Fläche bin ich nicht stark und werde mehrmals überholt. Doch ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen, denn ich weiss: im Aufstieg zur Grossen Scheidegg werde ich viele von ihnen wieder ein- und überholen.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich Meiringen und es geht wieder bergauf. Sogleich bin ich zurück im Überholmodus. Meine Beine fühlen sich gut an. Ich versuche, leichte Gänge zu fahren und nicht zu drücken. Immerhin warten später mit dem Bike noch einige Höhenmeter auf mich. Es ist heiss, aber zum Glück ziehen einige Wolken vorbei, die die Temperaturen erträglich machen. Ich trinke so viel ich kann und fülle meine Bidons zweimal bei einem Brunnen nach. Bei jeder Verpflegung halte ich an und gönne mir leckere Biberli und Bananen. Unterwegs treffe ich Katrin, die den Inferno als Single bestreitet. Ich fahre eine Weile mit ihr, folge dann aber meinem Rhythmus. Bald passiere ich die Schwarzwaldalp. Dann folgt die erste steile Rampe. Vor fünf Jahren bin ich die Grosse Scheidegg das letzte Mal gefahren, den genauen Weg hatte ich nicht mehr präsent. Nach der steilen Passage wird es wieder etwas flacher, aber der Aufstieg bleibt stetig. Die Beine drehen, ich lächle und geniesse die wunderschönen Berge um mich herum. Der Rücken zwickt, der Fuss brennt, aber das bringt mich nicht aus der Ruhe. Ich denke nur an das Butterzopfsandwich mit Käse, das mich in Grindelwald erwartet! Und an ein kühles Cola. Bald erreiche ich die Passhöhe.
Die Abfahrt fahre ich ohne Risiko. Die Strasse ist eng und unübersichtlich. Zum Glück autofrei, aber viele Velofahrer und Wanderer kommen mir entgegen. Die letzten Kilometer durch Grindelwald sind neutralisiert. In der Wechselzone erwartet mich bereits meine Schwester Barbara mit meinem Bike. Ich setze mich kurz hin, wechsle die Schuhe und esse das langersehnte Sandwich, dazu ein Cola! Wie gut das tut. Barbara kümmert sich liebevoll um mich. Nach wenigen Minuten muss ich mich aber schon wieder verabschieden.
Mit dem Bike fahre ich los. Ich bin froh, dass ich mein 15-jähriges Cross-Country-Fully noch habe. Es ist zwar alt und überhaupt nicht modern, aber immerhin nicht zu schwer. Zwar kann ich den Dämpfer nicht blockieren und es wippt die ganze Zeit, doch das nehme ich in Kauf. Zuerst geht es lange Zeit über eine Teerstrasse bergauf. Es ist heiss, und ich habe nur einen kleinen Bidon dabei. Zum Glück passiere ich unterwegs zwei Brunnen, wo ich nachfüllen kann, und etwa in der Hälfte des Aufstiegs komme ich an einem Verpflegungsposten vorbei. Viele, vor allem Single-Athleten, sind am Leiden. Ich biete allen Salztabletten und von meinen Gummibärli an. Mit einer Athletin laufe ich ein kurzes Stück zu Fuss, um ihr Mut zu machen. Ich gebe ihr ein paar meiner Gummibärli und versuche, sie wieder aufs Bike zu bringen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass Krisen kommen und auch wieder gehen. Nach einer Weile verabschiede ich mich und ziehe weiter.
Ich verfluche mich, dass ich mir vor dem Event überhaupt keine Gedanken über Streckenprofile oder Verpflegungsposten gemacht habe! Ich habe keine Ahnung, wie weit es noch ist. Irgendwann sehe ich in der Ferne das Hotel auf der Kleinen Scheidegg. Die Passhöhe muss man sich aber erkämpfen. Es kommen zwei, drei wirklich fiese und steile Rampen. Ich würge mich hoch und bin erleichtert, als ich oben in der Verpflegungszone ankomme. Endlich eine Bouillon, dazu wieder eine Banane und ein Biberli. Die Abfahrt ist schrecklich. Schotterstrassen mit engen Kurven. Diesen Sommer sitze ich das erste Mal überhaupt auf dem Bike, und dazu denke ich ständig an meinen Fuss. Ein kurzfristiges Ausklicken ist aktuell nicht möglich, und ich will absolut nichts riskieren. Ich fahre runter wie eine Tusse. Zweimal wird es in einer Kurve brenzlig, und ich kann im letzten Moment noch anhalten. Meine alten Pneus haben praktisch keinen Grip, und die Bremse quietscht. Immerhin können mich die Wanderer so bereits von Weitem hören.
Den einzigen kurzen Singletrail-Abschnitt geniesse ich richtig, endlich echtes Biken. Der schlimmste Teil kommt aber am Schluss: enge Kurven, staubiger Kies und steil. Vor x Jahren, als ich in einem Frauenteam mitgemacht habe, bin ich hier etwa doppelt so schnell runtergefahren. Damals galt für mich noch das Motto „No risk, no fun“. Heute merke ich: Ich bin älter und vorsichtiger geworden. Von Lauterbrunnen bis Stechelberg ist es ein ewiges Stop-and-Go. Die Strecke führt der Hauptstrasse entlang. Es wimmelt von Autos, Cars und Postautos. Immer wieder muss ich um die Fahrzeuge herumzirkeln, anhalten, wieder anfahren und mir meinen Weg durch den Verkehr freikämpfen.
In Stechelberg erwartet mich Roger mit offenen Armen. Ich übergebe ihm den Chip, er erklärt mir noch kurz, wo er unseren Sämi parkiert hat, denn Barbara ist noch nicht aus Grindelwald zurück. Sie steckt irgendwo mit meinem Rennvelo im Postauto fest. Ich gebe Roger einen Kuss und wünsche ihm einen schönen Lauf.
Ich finde Sämi auf Anhieb. Roger hat mir noch einen Zettel und einen Laugengipfel hingelegt, wie süss, denke ich. Ich wasche mich kurz mit etwas Wasser, ziehe mich um und fixiere das Bike auf dem Veloträger. Irgendwann schafft es auch Barbara zusammen mit meinem Rennvelo nach Stechelberg. Sie ist sichtlich erleichtert, als sie endlich ankommt. Stau ohne Ende, einfach zu viele Touristen und zu viele Menschen auf dieser Welt.
Wir verstauen alles im Sämi, nehmen Rogers Tasche und machen uns mit der Bahn auf den Weg nach Mürren. Dort ist die Temperatur erträglich und nicht mehr so brütend heiss. Kurz vor dem Ziel setzen wir uns hin und warten auf Roger. Ich habe keine Ahnung, wie lange er für die 17 Kilometer mit 850 Höhenmetern brauchen wird. Er hat erst vor rund zwei Monaten mit dem Lauftraining begonnen und ist nie mehr als 13 km gerannt. Aber Roger ist ein Naturtalent, er wird auch diese Strecke mit Bravour meistern, da bin ich mir sicher. Irgendwann ertönt aus dem Lautsprecher ein Lied der Red Hot Chili Peppers. Ich sage zu Barbara: „Zu diesem Lied möchte ich gerne ins Ziel einlaufen.“ Sie meint nur: „Roger hat noch gut zwei Minuten Zeit!“ Und siehe da: wenige Augenblicke später erspähe ich Roger von Weitem. Er kommt mir mit einem grossen Smile entgegen. Ich renne ihm entgegen, umarme ihn, und gemeinsam absolvieren wir die letzten 100 Meter bis zur Ziellinie und immer noch zu diesem schönen Song. Wir fallen uns in die Arme. Barbara kommt und gratuliert uns. Wir sind einfach beide glücklich und zufrieden mit uns und der Welt um uns herum. Ein unbeschreibliches Gefühl, gemeinsam als Paar und doch jeder für sich diesen Wettkampf bestritten zu haben. Ich bin super stolz auf Roger. Wir stossen mit dem alkoholfreien Finisher-Bier an und lassen die letzten Stunden Revue passieren. Roger gönnt sich noch eine kalte Dusche, und anschliessend sitzen wir mit einem anderen Couple im Essenszelt und geniessen Pasta und Spiessli.
Plötzlich zieht ein Gewitter auf
Irgendwann beginnt es zu regnen, und die Organisatoren sind leider gezwungen, das Rennen abzubrechen. Das heisst, alle Singles, die das Schilthorn noch nicht erreicht haben, werden aus dem Rennen
genommen. Nur noch bis Mürren dürfen die Teilnehmer laufen.
Ich fühle mit Conny, Fabienne und Katrin. Alle drei sind gezwungen, in Mürren zu stoppen. Doch die Natur ist zum Glück immer noch stärker als wir Menschen, es sollte einfach nicht sein. Aber auch der Abbruch kann der guten Stimmung der Ladies nichts anhaben. Sie lachen, plaudern und gestikulieren, als wären sie soeben aufgestanden und hätten nicht einen so langen, anstrengenden Sporttag hinter sich. Schön zu sehen, wie die Leidenschaft für Sport Menschen verbindet und wie Anstrengung und Leid in Glücksgefühle verwandelt werden.
Ich bin stolz auf alle, die an diesem Event mitgemacht haben. Egal ob als Single, im Couple oder im Team, es hat für jeden Platz, und jeder ist ein Sieger.
Einen herzlichen Dank an das gesamte OK und die vielen freiwilligen Helfer. Alle haben einem unterwegs angefeuert, angelächelt motiviert und leckere Sachen geboten. Die Organisation war top von A bis Z. Und auch unter den Teilnehmern herrschte jederzeit eine gute und faire Stimmung. Es hat Spass gemacht und wird mir ewig in Erinnerung bleiben.
Nun heisst es wieder mal erholen, Fuss hochlagern und meinem Chassis gutes Tun. Und Roger meinte doch tatsächlich nach dem zweiten Bier am Tisch im Essenszelt: "Nächstes Jahr werde ich als Single teilnehmen"! Ich war sofort begeistert und würde ihm noch so gerne als Betreuerin zur Seite stehen. Mal sehen was die Zukunft bringt - aber ich sehe Roger bereits mit seinem schönen Lachen im Ziel auf dem Schilthorn über die Ziellinie laufen!! Lebe deine Träume und verschiebe deine Grenzen.
In dem Sinne, pura vida
Cristina
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Cone (Montag, 18 August 2025 11:44)
So schön geschrieben���und ihr seid einfach super ihr zwei��Gratulation nochmals zur super Leistung!!